Storytelling für Politiker

Storytelling für Politiker

Ich habe seit einiger Zeit den Newsletter von Carline Mohr abonniert. Sie hat unter anderem den digitalen Wahlkampf für Olaf Scholz 2021 geleitet.

In der aktuellen Ausgabe gibt sie Tipps für den Aufbau von Social Media-Kanälen von Politikern. Sie beschäftigt sich damit mit dem Problem, was viele Politiker haben: Wie komme ich an neue Zielgruppen?

Natürlich ist es nicht schwer, die eigenen Leuten zu Followern zu machen. Auch der ein oder andere Troll kommt gerne, um sich entsprechend auszulassen. Aber der Kern ist: Möchte ich gewählt werden, muss ich die Menschen auf mich aufmerksam machen. Und zwar möglichst so, dass ich viele davon auch zu Wählern mache.

Die Strategie, die sie entwickelt, funktioniert mit Sicherheit. Sie umfasst im Wesentlichen: Kreiere Content, den die Leute klicken. Heißt: Listings, Best Of, regionale Tipps, Tricks und News. Das so etwas funktioniert, beweisen Online-Medien seit Jahren.

Von richtigen und falschen Prämissen im Storytelling

Alles gut also? Geht man von der Prämisse aus, dass Reichweite allein entscheidend ist, stimme ich zu. Allerdings bin ich eher der Meinung, dass Politiker, zumal solche, die erst noch gewählt werden wollen, tunlichst die Finger von Content dieser Art lassen sollten.

Die Prämisse dieser Story-Strategien ist: Denkt wie eine Lokaljournalistin, fragt euch also, was die Menschen direkt vor Ort interessiert. Ködert diese Menschen dann mit entsprechendem Content und setzt ihnen dann, wenn genügend Conversions erfolgt sind, wieder euren politischen Content vor die Nase. Genährt wird diese Strategie durch den Content Graph, also dem Algorithmus, der Usern Content vorschlägt, der sie aufgrund ihres bisherigen Verhaltens oder ihrer Eigenschaften interessieren könnte. Mit anderen Worten: Der Content Graph gibt dir damit auch indirekt die Themen vor, die du posten solltest, um die höchste Reichweite zu erzielen. Rhetorische Frage: Ist das das Ziel von Politik?

Stelle dir jetzt bitte die Frage, ob du tatsächlich der Politiker sein möchtest, der in seiner Region für die besten Restaurant-Tipps oder seine fünf Lieblings-Orte bekannt sein möchte? Eine Art Behelfs-Influencer also? Wenn ja, dann ist das eine valide Content-Strategie.

Wenn nein, dann brauchst du eine andere Strategie. Mein Ansatz ist, dass man als Politikerin eben nicht den Umweg über Klicki-Bunti Social Content gehen muss, sondern Wähler allein über politische Inhalte gewinnen kann. Dazu einige Regeln:

1. Wähle deine Kanäle weise

Es scheint ein ungeschriebenes Gesetz zu sein, dass Politiker in Deutschland immer auf Instagram und X sein müssen. Bei X, einer Plattform, die von einem Rechtspopulisten geführt wird, der sich immer mehr in innere Angelegenheiten anderer Länder einmischt, sollte klar sein: Finger weg! Hier kann man als seriöse Politikerin nichts gewinnen, im Gegenteil: Man liefert freiwillig eine gigantische Angriffsfläche. Es ist sowieso absolut unverständlich, warum so viele deutsche Politiker dort immer noch vertreten sind. Kanäle aus dem Meta-Konzern (Facebook, Instagram, WhatsApp, Threads) sind da etwas besser, allerdings muss man auch hier wissen: All diese Kanäle (bis auf WhatsApp) sind stark Algorithmus-getrieben, du bist also auf das angewiesen, was der Zuckerberg-Konzern vorgibt, wenn es dir um Reichweite geht. Wenn Meta möchte, dass nur Entertainment zählt, musst du Entertainment machen. Meta hat erst Mitte 2024 politische Inhalte auf seinen Plattformen gedrosselt, du wirst prinzipiell nur noch eingeblendet, wenn der User das in seinem Profil auch so angeklickt hat und dir bereits folgt, siehe https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-1006548.

Daraus wird auch klar, warum dir Strategien wie oben beschrieben, vorschlagen, auf Entertainment zu setzen. Richtig, sonst wird es schwierig mit der Eroberung neuer Zielgruppen.

Ich vertrete einen anderen Ansatz: Nutze gerne Instagram und Facebook, kommentiere dort unter Posts anderer Kanäle, interagiere mit Nutzern in Facebook-Gruppen, etc. Denn dort finden die Diskussionen zu auch Politik-relevanten Inhalten statt. Aber poste dort keine Parolen, sondern bringe dich sinnvoll in die Debatte ein. Du möchtest doch schließlich derjenige sein, der niveauvolle Beiträge und sinnvolle Lösungsansätze bekannt ist, oder? Veröffentliche Statements zu deinen Politikfeldern auch gerne auf deinen Social Media-Kanälen, aber finde dich damit ab, dass du keine gigantischen Reichweiten erreichen wird.

2. Du brauchst Kontrolle über deine Kanäle

Stattdessen: Konzentriere dich auf Kanäle, die du kontrollieren kannst - und das ist vor allem deine Website! Sie sollte der Dreh- und Angelpunkt für all deinen Content sein. Alles, was du an Statements, Ideen, Forderungen veröffentlichst, kommt zuerst auf die Website.

Nutze einen Newsletter! Dieses Content-Format erlebt gerade ein Revival, gerade weil seriöser Content durch die sozialen Netzwerke immer mehr gedrosselt wird. Wer deine Inhalte lesen will (dafür müssen sie gut sein!), abonniert deinen Newsletter. Der kann im Freundes- und Bekanntenkreis auch weitergeleitet werden. Das siehst du dann zwar nicht direkt in Zahlen, solltest du aber nicht unterschätzen.

Nutze als Hub für all deinen Content deine eigenen Kanäle und versuche die User immer dorthin zu locken. Externe Links finden die sozialen Netzwerke ebenfalls nicht gut, nutze sie trotzdem. Für dich sollte im Mittelpunkt stehen, eine vergleichsweise hohe Reichweite auf deinen eigenen Kanälen aufzubauen.

3. Betreibe gutes Community-Management

Es reicht nicht, ein Statement zu veröffentlichen. Vor allem nicht auf den sozialen Medien. Es ist wichtig, auch regelmäßig zu überprüfen, wer damit interagiert. Und wenn sich schon jemand die Mühe macht, einen Kommentar zu veröffentlichen oder dir zu schreiben, dann antworte doch auch. Dazu gehört auch die Reaktion auf kritische Kommentare. Niemand muss einem Troll antworten, aber gerade wenn du auf einen ernstgemeinten kritischen Kommentar antwortest, zeigst du, dass dir die Community wichtig ist, du dich mit dem Thema auskennst und nicht nur Parolen und Forderungen veröffentlichst.

Fazit

Social Media-Plattformen sind aufgrund ihrer Algorithmen mit Fokus auf Entertainment nicht die idealen Plattformen für politische Inhalte. Nutze daher deine eigenen Kanäle, pflege diese und veröffentliche all deinen Content zuerst dort. Verwende deine Social Media-Accounts für die Interaktion mit anderen Usern, z.B. durch Kommentare auf Beiträge. Betreibe gutes Community Management und zeige, dass du die User und potenziellen Wähler ernst nimmst.

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Warum ich von Social Media-Hacks in Algorithmus-Zeiten nichts halte

Warum ich von Social Media-Hacks in Algorithmus-Zeiten nichts halte

Ich habe diesen Artikel gestern geschrieben. Und direkt danach kam die Ankündigung von Mark Zuckerberg, Das "Social Media-Spiel" grundlegend zu ändern, siehe z.B. hier: https://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/mark-zuckerberg-kuendigt-richtungswechsel-bei-facebook-und-instagram-an-a-8639e621-2866-495c-888e-de50eb42c32a Dadurch wird der folgende Post doch gleich eine Ecke relevanter. Viel Spaß beim Lesen! Wenn man

By Fabian Meyer-Theobaldy